Freitag, 17. Februar 2012

Michael Fieseler




Im tiefen Grund

Arne Saknussem spielt eine ungewöhnliche Rolle in Jules Vernes Roman „Reise zum Mittelpunkt der Erde“. Als Forscher des 16. Jahrhunderts machte er eine mysteriöse Entdeckung, verschwand jedoch kurz vor seinem wissenschaftlichen Durchbruch. 200 Jahre später folgten weitere Wissenschaftler seinen Spuren zu dem isländischen Vulkan, dessen Schlot direkt zum Mittelpunkt der Erde führen sollte. Saknussem ist eine Romanfigur, nicht existent, rätselhaft und gerade deshalb die ideale Figur für Michael Fieseler. Seltsam konzentriert und introvertiert stehen, sitzen und knien Michael Fieselers Figuren auf pflanzenartigen Gewächsen. Sie inspizieren, stochern, spritzen, bohren in der farblich hochexplosiven Landschaft. Überdimensionale gelbe und grün-fleischige Blätter im Bildvordergrund, die in ihrer runden, nach oben dringenden Form an Seerosen oder auch Korallen erinnern, ziehen den Betrachter in den Bann der seltsamen Entdeckungen. Schrittweise baut der Künstler eine neue Welt auf: Mit sehr feinem und lasierendem Pinselstrich stellt er zunächst die organischen Gebilde dar, aus denen dann die teils realistisch dargestellten Personen herauszuwachsen scheinen. Anschließend deutet er im Mittelgrund profane Materialien wie Holz, Fell oder Stoff an. Die meist männlichen Personen sind entweder in Rückansicht dargestellt, vom Betrachter weggeneigt oder ihre Gesichter sind nicht sichtbar. Ihnen gemeinsam ist, daß sie in Kontemplation versunken scheinen, auch wenn sie in Aktion dargestellt sind. Der Betrachter wird dadurch jedoch nicht ausgegrenzt, vielmehr aufgefordert einzutreten in die stille Welt der Illusion. Michael Fieseler hat sich in seiner neuen Serie mit dem Thema Forschung und Forscherpersönlichkeiten beschäftigt. Wobei hier nicht das wissenschaftliche Ergebnis, sondern das Mysterium der Entdeckung, die häufig romantisch anmutenden Reiseaufzeichnungen und die heldenhaften Fotografien im Fokus des Künstlers standen. Es sind zum Beispiel die Bilder, die um die Welt gingen – von der Antarktis-Expedition Scotts und Amundsens oder des deutschen Tiefseetauchers Hans Hass – die der Betrachter schnell wiedererkennt. Der Künstler schöpft aus einem Bildrepertoire, das uns ebenso prägte und prägt – gibt es doch unzählige Reportagen, Dokumentationen und Filme über die großen Reisen der Forscher. Michael Fieseler setzt jedoch die berühmten und medial präsenten Motive in realitätsferne, utopische Landschaften, wobei der bedeutungsvolle, emotionale und dramatische Moment, einem Historienbild gleich, häufig in der Bearbeitung des Hintergrunds deutlich wird: Weiße, gelbe bis dunkelgraue Cumuluswolken schneiden bedrohlich den Himmel und senken sich auf die Szene, ein großes Gewitter prophezeiend. In seinem Bildrepertoire befinden sich ebenso unbekannte Entdecker. Da sitzt ein kleiner Junge in einem Blumenmeer und stochert in den durchscheinenden Wasserstellen. Da bohrt ein Mann in einer ominösen Lichtquelle. Und wieder in einem anderen Bild beraten zwei Männer über ein Fell streichend. So stellt der Künstler die Welt der Entdecker dar, wobei in jedem ein Entdecker steckt und der Entdecker auch durchaus jemand in legerer Cargohose und T-Shirt sein kann. Die Modelle entnimmt der Künstler seinem persönlichen Umfeld, so bilden neben Publikationen, Postkarten und Filmen auch Familienfotografien sein Repertoire. Immer wieder mischen sich auch Motive aus seinen früheren Werken ein und formen einen fast unscheinbaren Mittelpunkt. Die Pelzkappen, an altertümliche Helme erinnernd, scheinen auf einigen Bildern das sinnlose Geschehen zu beobachten und stellen gleichzeitig die unverwechselbare Handschrift Fieselers dar. Sie helfen nicht, die Bilder zu entschlüsseln, verrätseln sie vielmehr und helfen, eine Utopie zu generieren, die den Betrachter hineinzieht in das Mysterium der Entdeckung.
Raluca Pora

Montag, 2. Januar 2012

Axel Sanson


Niemand kann ein 300 Meter langes schwimmendes Schiff ignorieren, aber dessen Erscheinung kann so verändert werden, dass man sich über seine Grösse, seine Geschwindigkeit und seine Richtung täuscht und so eine mögliche Bedrohung minimiert. Deshalb werden Schiffe, Flugzeuge und Fahrzeuge mit Tarnanstrich bemalt. Was nicht versteckt werden kann, wird verschleiert, Gezeigtes wird nicht offenbar. Wir alle tarnen uns, indem wir Bilder von uns projezieren, Bilder die sich überlagern, ändern und unser Gegenüber beeinflussen. Das «Narrenschiff» ist ein Synonym für diese multiplen Bilder unserer unterschiedlichen «Ichs», die wir, während wir sie zeigen, auch widersprüchlicherweise versuchen zu verstecken. Besonders sichtbar sind diese Projektionen in der Ästethik des Internets, der blogs und sozialen Netzwerke, wo sie in oft hausbackener Art eine verschleierte Bildsprache aus unpräzisen Profilen, Attitüden und Stereotypen schaffen, die schon deswegen problematisch ist, da sie sich aus Jugendlichkeit, Weiblichkeit und vermeintlicher Unschuld nährt. Bei den Arbeiten der Serie « Narrenschiff » aus dem Jahre 2011 kombiniert Axel Sanson diese Projektionen von Verführung, Unschuld, Unruhe, zufälligen Begegnungen der Wirklichkeit mit neurotischen Vorstellungen, und wirbelt sie, wie im einem griechisch-römischen Mysterienspiel, wild durcheinander.